Es ist schon ein seltenes Glück für leider sehr wenige Menschen, wenn private oder amtliche Schriftstücke mit regional begrenzten Aufzeichnungen aus vergangenen Jahrhunderten ihnen in die Hände fallen und noch gelesen werden können. Die Inhalte dieser Dokumente sind uns in der Gegenwart längst entrückt, weil Schrift und Sprache sehr unverständlich geworden sind. Dadurch bleibt auch der Inhalt meist verschlossen. Voraussetzung für die Erschließung des Amtsbuches aus dem Jahre 1554 bildete der Interessenkreis zweier ehrenamtlich tätiger Ortschronisten und eines Schriftkenners im Rentenalter, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, diese 41 Doppelseiten dem Vergessen zu entreißen, um sie einer folgenden Generation aufgearbeitet und erklärend als Zeitdokument vorzustellen.
Als Schriftkenner bin ich nun aufgefordert, mich zu Schrift, Sprache und Beschaffenheit dieses Amtsbuches zu äußern. Es ist gut und richtig, wenn für einen interessierten Leserkreis das zu besprechende Buch digital gelesen werden kann. Es ist auch gut zu wissen, das derartige Schriftstücke, aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und noch ältere Dokumente, sach- und fachkundig in den kilometerlangen Regalbeständen der Landesarchive gelagert werden. Doch etwa 80 Prozent des handgeschriebenen Archivbestandes in Deutschland ist noch nicht gelesen worden. So hat auch dieses Dokument vor seiner Ablage sicherlich eine wechselvolle Geschichte erfahren, die ich aus den digitalen Darstellungen nur erahnen kann.
Das handgeschöpfte Lumpenpapier ist auf den ersten neun Seiten der beidseitig beschriebenen Blätter (recto) oben – immer weniger werdend – abgerissen. Dadurch ist ein Teil des Textes verloren. Weil Papier in dieser Zeit kein billiger Beschreibstoff war, wurde es auch schriftsprachlich weidlich ausgenutzt, indem bis an den Blattrand jeder Seite geschrieben wurde. Zusätzlich wurden recto (vorn) und verso (hinten) weitere Ergänzungen in Form von Annotationen in die Freiräume der Buchseiten hineingeschrieben, deren Schriftbild teilweise in den Haupttext hineingleitet.
Erschwerend kommt für die Übertragung hinzu, dass feuchtigkeitsbedingt die ohnehin schlechte Papierqualität (aus heutiger Sicht) die verwendete Naturtinte aufgelöst hat und zu großen und kleinen Flecken führte, was sich auch durchscheinend für die gesamte Seite auswirkte. Gleiches trifft auch dahingehend zu, dass eine feucht gewordene Seite die umseitige Schrift spiegelt.
2. Schriftentwicklung bis zum 16. Jahrhundert
Schriftbetrachtungen, ohne die konkrete Einsicht in die jeweiligen ökonomischen, gesellschaftliche und kulturellen Verhältnisse zum Zeitpunkts des Entstehens eines Schriftstückes zu haben, führen insbesondere unter dem aufgabenbezogenen Werturteil zu Schönheit und Lesbarkeit eindeutig zu Fehlurteilen. Je größer die Differenz zwischen dem Zeitpunkt des Entstehens der Schrift und dem aktuellen Bewertungszeitpunkt ist, desto weiter liegen die Maßstäbe dann auseinander, egal ob Druck- oder Handschrift. Immer setzt – bewusst oder unbewusst – der subjektive und modische Zeitgeist der Gegenwart den Maßstab zur Schriftbewertung unter dem Aspekt der Beurteilung von Schönheit der Schrift und ihrer Lesbarkeit.
Immer noch galt es als ein Privileg in Stadt und Land, wenn ein Mensch lesen oder gar lesen und schreiben konnte. Das gebildete Bürgertum entsandte die Kinder der Familie zur Unterrichtung in die Scribtorien der Kloster- und Abtschulen, weil sie dort diese Fertigkeiten erwerben konnten. Ein Schreiber in den städtischen Amtsstuben einer stetig wachsenden Verwaltungs- und Rechtsordnung im 16. Jahrhundert genoß großes Ansehen.
2.1 Einführung
Die im Hauptteil des Amtsbuches verwendete Handschrift lässt durchaus eine weitgefächerte Interpretation des Schriftbildes zu. Die 100 Jahre zuvor entwickelte Druckkunst mit beweglichen Metallettern durch den Mann des Jahrtausends, Johannes Guttenberg, hatte längst ihren Siegeszug in die Welt vollzogen. Die übereinstimmenden Druckbuchstaben der gebrochenen Schriften in den Druckstücken des 15. und 16. Jahrhunderts führten in ihren Einzelformen auch in den Handschriften zu verschiedenen und unterschiedlichen Gestaltungsformen, wie sie noch im 19. Jahrhundert angewendet wurden. Während sich die Schreib- und Rechenmeister des 16. Jahrhunderts auch noch um die Gunst der Fürsten, Bischöfe und Könige durch wundervolle Schreibmeisterbücher als Hofschreibmeister bewarben, entwickelte sich aus dem mangelnden Schreibbedarf des früheren Geldverdienstes ihre notgedrungene Lehrtätigkeit für die Kinder der Handels- und Kaufleute, der Handwerker und Dienstleister – nunmehr in Abkehr von den Kloster- und Domschulen – in den Städten eine Frühformen der Schule mit weltlicher Ausbildung.
Ein ausgebildeter Stadtschreiber muss wohl eine derartige Schreiblehre erlebt haben, um in dieser Funktion diese angesehene Position im Stadtrat bekleiden und ausfüllen zu können, so wahrscheinlich auch der „Hauptschreiber“ des Amtsbuches zu Peitz. Mit dem sich weiter verbreitenden Christentum durch die lutherische Reformation und der Vereinheitlichung der deutschen Sprache vollzogen sich auch weitere Anpassungen der deutschen Schrift an die deutsche Sprache. Wohl waren alle Buchstaben der Schreibschriften den sachkundigen Schreibern bekannt, allein die Anwendung im Schriftbild vollzog sich in rein subjektiver und regionaler Anwendung recht unterschiedlich. Grundlage der Schriftsprache waren für einen Schreiber das Hören und die Regionalsprache des Schreibers, sein Wortschatz und sein typographisches Können. Einheitliche Regeln zur Rechtschreibung der Wörter, zur Groß- und Kleinschreibung und zur Interpunktion entwickelten sich Stück für Stück im weiter wachsenden und überregionalen Schriftverkehr, ohne jedoch verbindlich in der Anwendung zu sein. Erst 1774 erschien erstmalig durch Johann Christoph Adelung ein „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ zu einer „angemahnten“ einheitlichen Rechtschreibung.
2.2 Alphabete des 16. Jahrhunderts
Das Schrifttum in lateinisch-althochdeutscher Sprache setzt erst recht spärlich im achten Jahrhundert ein.
Wie schon bei den vorchristlichen „Schriftvölkern“, den Griechen und Römern, entwickelten sich in den jeweiligen politisch-strukturierten Herrschaftsbereichen stets zwei Grundformen der Handschriften miteinander. Aus der zeitlos mathematisch konstruierten monumentalen Steinschrift der Griechen und Römer entstanden zugleich für den „schnellen Gebrauch“ die kursiven Formen. Neben dieser „römischen Kapitalschrift“ wurde durch die veränderten Schreibbedingungen (Papyrus, Schreibrohr) die „römische Kursive“ geschrieben. Aus der durch Karl den Großen zur einheitlichen Schrift bestimmten kalligraphisch geformten Schrift im achten Jahrhundert wurde aus der bis dahin bestehenden Unzialschrift des vierten Jahrhunderts – die nur aus Majuskeln bestand – die „Karolingische Minuskel“ mit großen und kleinen Buchstaben, mit Ober- und Unterlängen.
Die Gemeinsamkeit der lateinischen Schrift der Römer und der sogenannten deutschen Schrift in den jeweiligen Entwicklungsstufen und –formen sind lediglich Varianten einer Schrift seit zweieinhalb Jahrtausenden.
Die beiden oben erwähnten Grundtypen der Schrift werden einerseits als kalligraphisch-geformte oder als Buchschrift und andererseits als kursiv-zusammen-hängende oder Geschäftsschrift bezeichnet.
Die spärlich erhaltenen handschriftlichen Überlieferungen althochdeutscher Texte des 8. und 9. Jahrhunderts sind in der karolingischen Minuskel als Buchschrift geschrieben. Die Schreiber der deutschen Texte waren bis ins 13. Jahrhundert hinein Mönche und teilweise auch Nonnen, die in den Scriptorien ihre sorgfältigen Buchschriften verfassten. Schreibende Laien – auch als geistliche Lohnschreiber – entwickelten sich erst ab dem späten 12. Jahrhundert. Zwar werden diese Handschriften als „kursiv“ benannt, jedoch stehen sie, trotz ihrer verbindenden Buchstabenelemente untereinander noch senkrecht auf der Schriftlinie. Die regional sehr unterschiedliche Forderung und Förderung der Handschriften durch die weltliche und sakrale Herrschaft, führte zu ihren unterschiedlichen Ausprägungen in den regionalen landesherrlichen Kanzleien. Somit entstanden neue individuelle und kalligrafische Besonderheiten in den Handschriften durch Schleifen an den Oberlängen, ausladende An- und Abschwünge, Schlussbögen und zeilenübergreifende Minuskeln. Es entwickelte sich die sogenannte „Bastarda“, als Mischform zwischen der verbindlichen und gepflegten Urkundenschrift und der individuell geformten Gebrauchsschrift.
Mit der wachsenden Vergesellschaftung durch Verwaltungs-, Geschäfts- und Rechtsordnungen entwickelte sich seit dem 16. Jahrhundert die deutsche Schreibschrift in zwei Formen:
die in ihrer Regelmäßigkeit gedrungene und gezähmt wirkende Kanzleischrift und
in der schwungvoll kursiven und flüssigen Kurrentschrift, die aus der gotischen Kursive entstand.
Natürlich gab es neben den anspruchslos geschriebenen Büchern mit ungedruckten Texten für den privaten Gebrauch, die in Bastarden kursiv geschrieben wurden, auch noch im Zeitalter des Buchdrucks Prachthandschriften als Luxusobjekte, die sich an den handschriftlichen oder gedruckten Lehrbüchern der Schreibmeister des 16. Jahrhunderts orientierten.
In weiterführender Literatur ausgewählter Bibliotheken sind noch die verschiedenen Alphabete der Schreibmeister anzusehen, mit denen sie um die elterliche Gunst und Zuwendung für neue Schreibschüler warben. Zugleich erkennt der interessierte Leser ebenso auch die sich verändernde Buchstabenentwicklung im Laufe der Jahrhunderte, die sich bis zum 19. Jahrhundert in einer einheitlichen Gestaltung – ganz ohne verwaltungspolitische Eingriffe – in den deutschsprachigen Ländern herausbildete.
2.3 Duktus, Schrift und Sprache im Amtsbuch
2.3.1 Duktus
Bei diesem Fachwort „Duktus“ handelt es sich um einen typographischen Begriff, bezogen auf die Schrift, der sowohl die Gesamtheit eines Schriftstücks, als auch die Einzelbuchstaben charakterisiert; dabei werden ausgehend vom Allgemeinen zum Speziellen hin die Besonderheiten, Auffälligkeiten und individuell typischen Merkmale einer Hand-, Druck- oder kalligraphischen Schrift beschrieben.
In Abhängigkeit von der Gesamtheit der zum Herstellen eines Schrifterzeugnisses notwendigen Materialien ergeben sich natürlich subjektive Bewertungen, die allein am Begriff „schön“ schon zu gegensätzlichen Aussagen führen können. So ist es durchaus verständlich, wenn der geneigte Leser der Gegenwart durch seine Lese- und Betrachtungsgewohnheiten zu anderen Wertschätzungen gelangt, als es durch die nachfolgenden Ausführungen des Autors formuliert wird.
Das über 460 Jahre alte „Peiznische Ambtt Buch“ ist ein wirklich bedeutsames Schriftstück seiner Zeit. In klarer Schriftlinie beschreibt ein des Schreibens Kundiger in damals üblicher Amtssprache die bestehenden Rechtsordnungen für die zum Amt gehörenden Besitzungen. In gleichgroßer Schrifthöhe auf allen Buchseiten reihen sich Buchstabe an Buchstabe. Im Schriftbild nicht erkennbar sind Absätze, die durch das rhythmisch wiederholende Eintauchen einer Kielfeder in die Tinte, oft sichtbar sind.
Auch weil es sich dabei um ein organisches Schreibgerät handelt, bedarf es entsprechend der Schreibkompetenz des Schreibers eines zwischenzeitlichen Nachschneidens des Federkiels, um dadurch den Wechsel von Druck und Entlastung auf die Feder beim Schreiben einer Wechselschriftzugschrift (Kurrent) von dicken Stamm- und dünnen Haarlinien überhaupt zu ermöglichen. Die Abnutzung der sorgsam geschnittenen und im heißen Sand gehärteten Feder auf dem damals verwendeten Lumpenpapier war – der Qualität dieser Schreibunterlage geschuldet – recht hoch.
Vielmehr zeigen die im Schriftbild deutlich sichtbaren Figuren (Buchstaben) dem Betrachter auch die schreibgeübten großen und kleinen Bögen und Schwünge der Buchstaben – besonders bei den Kapitelanfängen aber auch innerhalb des Textes – die Leichtigkeit der Federführung durch einen geübten und erfahrenen Schreiber.
Sicherlich hatte auch die schon seit über 100 Jahren bestehende Buchdruckerkunst, die in einer ästhetischen Typographie gestaltet wurde, eine Vorbildwirkung auf diese wohlgeformte Handschrift.
Nachweisbar ist das an den Kapitel-Anfängen, die mit bewusst gestaltetem vergrößerten Zeilenzwischenraum (Leerzeile) geschrieben wurden, und deren Anfang stets mit einer Schwungmajuskel beginnt. Einmal gipfelt die Textanordnung auf Seite 17 sogar in der handschriftlichen Gestaltung eines Formsatzes, dessen drucktechnisches Vorbild erstmalig 1525 in Albrecht Dürers theoretischer Schrift „Unterweisung der Messung mit Richtscheit und Zirkel ...” im Bleihandsatz gesetzt wurde.
War dieser Schreiber auch zugleich ein lesehungriger Bücherfreund?
2.3.2 Die Schrift
Schauen wir nun etwas genauer auf die händisch gestalteten Buchstaben. Eindeutig erkennbar ist, daß der Schreiber auf seinem Bildungsweg – wie zu damaliger Zeit in den Kloster- und Abtschulen üblich – zweischriftig erzogen wurde. Bereits auf Seite 2 sind neben der von ihm verwendeten Kurrentschrift in den ersten drei Zeilen lateinische Buchstaben zu sehen, die ohne Mühe zu Papier gebracht wurden. Schwungvoll und leicht ordnen sich diese Wörter und Buchstaben in gleicher Schriftgröße unauffällig auf der ersten Seite zwischen die Kurrentschrift ein. Im ersten und zweiten Absatz dieser Seite leitet das große lateinische „E“ in zweifacher Schriftgröße den nachfolgenden Text ein. Selbst in der Überschrift werden die Wörter „das“ und „Peiz“ mit lateinischen Buchstaben geschrieben.
Seine nachfolgenden „Ausrutscher“ zur Zweischriftigkeit widerspiegeln sich in der ersten Zeile auf Seite 2, indem vom zweiten Wort an, das bis auf den Anfangsbuchstaben insgesamt in lateinischer Schrift geschrieben ist, anteilig abnehmend immer wieder lateinische Buchstaben in der Handschrift vorkommen. Er mußte sich wohl erst schreibtechnisch „einstimmen“?
Jedoch – ist der Schreiber erst einmal „eingeschrieben“, so ist es dem fachkundigen Leser dieser Handschrift leicht möglich, alle nachfolgenden Wörter – so es die Abbildungsqualität des Amtsbuches zulässt – Wort um Wort zu lesen. Mehr als üblich zu dieser Zeit werden große Buchstaben im Satzaufbau verwendet, was scheinbar heute nach ungesteuerter Willkür aussieht. Weil es zudem noch keine einheitliche Rechtschreibregeln gab, ist es für den Leser doch sehr unüblich zu lesen, wenn beispielsweise das Wort „Spree“ mal klein oder mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben wurde oder gar „sPrew“ in Mischform steht. Andererseits sind diese Majuskeln in ihrer Gestaltung variantenreich und teilweise kunstvoll zugleich geschrieben worden. Am Beispiel der Buchstaben G, H, M, R, W und anderen ist das selbst für einen Schriftunkundigen gut nachlesbar. Zugleich ordnen sich diese Buchstaben harmonisch und stilvoll in das gesamte Schriftbild ein, ohne störend zu wirken. Vielmehr beleben sie den Duktus jeder Seite und machen neugierig auf noch folgende Gestaltungsvariationen dieser Buchstaben. Weil es jedoch noch einige Jahrhunderte dauerte, bis eine einheitliche und genormte Rechtschreibung entstand, bildet diese Schrift ein weiteres Zeugnis zur Geschichte der Schriftentwicklung.
Die besondere Leichtigkeit der spitzen Federführung beim Schreiben erkennt der aufmerksame Leser an den kunstvoll gestalteten Schwungbuchstaben am jeweiligen Beginn eines neuen Kapitels, z. B. auf der dritten Amtsbuchseite. Die gegenläufigen Schreibbewegungen in den lockeren Schreibschwüngen auch im Wortinneren führten teilweise zu fächerartigen Tintenspritzern, die einesteils auf die Schreibschnelligkeit des Schreibens hinweisen, zum anderen auch durch die damalige Papierqualität entstanden sein können.
Nur „Langsamschreiber“ vermeiden diese Spritzer, indem sie durch mehrfaches Neuansetzen der Feder die Figuren eher zeichnen, denn schreiben, um gegenläufige Schreibbewegungen zu vermeiden.
2.3.3 Die Sprache
Die im Ambtsbuch durchgängig verwendete Zeitform des Präsens (Gegenwart) ist der Sprachentwicklungsstufe des Neuhochdeutschen geschuldet. Es weichen auch die schriftsprachlichen Texte dieser Zeit – abgesehen von den regionalen Mundarten und Dialekten – in ihren Verlautbarungen noch recht weit von einander ab. Ebenso sind die Umlaute in ihrer heutigen Schriftform noch nicht verschriftet worden, vielmehr bediente man sich später im Anlaut der Umsetzung durch das „e“, zum Beispiel im Wort „Ueberschrift“, denn bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde nur der vokale Grundbuchstabe geschrieben, zum Beispiel „konig“ statt König und „gutter“ für Güter.
Daß sich jedoch der Amtsbuchschreiber als Wegbereiter einer teilweise richtigen Umlautschreibung erweist, ist auf einigen Seiten für einige wenige Wörter mit Umlaut nachweisbar. Für den Autor beweist diese eindeutige schriftsprachlich richtige Darstellung, dass zwischen der zu diesem Zeitpunkt üblichen Schriftsprache und der tatsächlichen Verlautbarung eine mehr oder weniger große Differenz bestand. Der geneigte Leser möge doch sein Augenmerk auf das Blatt 4, hinten, 3. Abschnitt, erste Zeile, letztes Wort richten: gehöret steht mit deutlich gesetzten Umlautstrichen am und im dritten Buchstaben dieses Wortes! Weitere Schreibungen sind die Wörter Döbrigk, heiden wärts, Wälden, könte, jährlichen und immer deutlich mit Umlautstrichen innerhalb der Wortbildung städlein, Städte, Städlein.
Für den Autor ist es ein weiterer Beweis dafür, daß es eine mehr oder weniger große Abweichung zwischen der Schrift und der Sprache gegeben haben muß, denn gleiches gilt auch für den Vokal „u“ im Anlaut von Wörtern, der stets durch den Konsonanten „v“ ersetzt wurde. Wer sagte denn: „vnndt“ statt „und“, sprach sicherlich das Wort „zuvor“ aus, statt „zuuor“? Nur warum wurde dann so geschrieben, zumal für die letztere Schreibweise doch das entsprechende Zeichen in Übereinstimmung von Schrift und Sprache vorhanden war und am Wortanfang, so es nicht die vokalische Bedeutung von „u“ hatte, stets die richtige Verwendung fand? Die Wörter „vier“, „von“, „vorlangk“, „vergleiche“ u.a. sind beredtes Zeugnis dafür.
Die auffällige und häufige Dopplung gleicher Konsonanten von „f“ und „t“ als Anzeige zu einem kurzgesprochenen vorangegangenen Vokal ist nur zögerlich in der Schriftsprache des 16. und 17. Jahrhunderts vermindert worden. „Herrschafft“, „Waldtt“, „Adell“ und „freyheitt“ sind nur einige wenige Beispiele, welche die Diskrepanz der Schrift zur Sprache aufzeigen. Erst mit der sich ausbreitenden Schulbildung für die Kinder des gebildeten Bürgertums bei den Schreibmeistern, durch die Verbreitung des Evangeliums in deutscher Sprache in der Zeit der Reformation und die Anpassung der deutschen Schrift an die sich verändernde Lautbildung in den folgenden Jahrhunderten, wuchs die Übereinstimmung von Schrift und Sprache, entstand eine einheitliche Orthographie und Grammatik als ein sehr wichtiges deutsches Kulturgut.
2.4. Zeichen, Ziffern, Maße
Innerhalb des Textes werden bei wiederholtem Lesen immer mehr Auffälligkeiten deutlich, die nur dem geübten Blick ins Auge springen. Nicht alles möglich Auswertbare kann und soll in der Darstellung zum Amtsbuch erläutert werden, dazu sind vertiefende Studien notwendig, die den Tätigkeitsbereich ehrenamtlich wirkender Heimatforscher, Ortschronisten und Schriftkenner übersteigt. So sollen nachfolgend nur einige wenige Besonderheiten aus diesem Zeitdokument herausgegriffen werden, um auch anhand der gewählten Beispiele die Entwicklung sowohl in Schrift und Sprache, als auch im Ziffernbereich nachzuweisen.
Auch für die Maße ist eine a. O. eine separate Rubrik eingerichtet, die sich im Wesentlichen auf die hier im Amtsbuch verwendeten Angaben stützt. Weiterführendes Wissen kann sich dazu der geneigte Leser aus dem Quellenverzeichnis entnehmen.
2.4.1 Der U-Bogen
Als bedeutendes Zeichen gilt für die im Ambtsbuch geschriebene Kurrentschrift der U-Bogen. Deutlich ist zu erkennen, daß sich dieses Zeichen schreibtechnisch gesehen in einer „Umbruchphase“ befand. War es ab dem 11. Jahrhundert der einem Fleischerhaken ähnliche senkrechte Strich über dem „n“ dieser Spitzkursive, entwickelte sich daraus zunächst ein ellipsenförmiger Kreis, der dann mehr und mehr geöffnet wurde und schließlich zum U-Bogen geführt hat, der dann unverändert ein Schriftmerkmal der deutschen Schreibschrift bis ins 20. Jahrhundert blieb.
2.4.2 Abkürzungen
Eine weitere Besonderheit im Schriftbild ist ein Abkürzungszeichen, welches die Form einer 3 mit verlängertem Anstrich hat. Um dafür eine Erklärung abzuleiten, ist ein kurzer Ausflug in die Geschichte der Schrift notwendig.
Ausgangspunkt bildete dazu das römische Altertum mit seinen lateinischen Schriftzeichen, die im Zeitalter der Renaissance (1400-1600) durch den innewohnenden Humanismus weite Verbreitung in Europa fand. So wurden seit der Abkehr von der üblichen Gotischen Schrift, hin zur Wiedergeburt der lateinischen Schrift aus römisch-griechischer Zeit, in der Verwaltung, der Rechtsprechung, Medizin und der Kirche viele Abkürzungen innerhalb der Hand- und Druckschriften im 15. und 16. Jahrhundert angewendet. Paul Arnold Grun schreibt dazu in /10/ S. 30:
Zur Zeit der Humanisten wurden die Abkürzungen in der Buchschrift sehr eingeschränkt und entschwanden schließlich ganz. In der Kursive der Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts können wir dagegen fast alle Formen des Mittelalters vertreten finden. Es macht sich aber bald große Willkür bemerkbar, und gleichzeitig verschwinden viele Zeichen.
Weil der Hauptschreiber keine lateinischen Wörter verwendet hat, sind nur zwei Elemente in sein Schriftbild in das Amtsbuch eingeflossen:
das ähnlich der Ziffer drei gestaltete Zeichen für die wahlweise Anwendung der Artikel „der, die, das“;
die drei Buchstaben „I. f. g.“ für: „Ihro/Ihre(r) fürstlich gnaden“.
Mit der Gründung der ersten Universitäten um 1200 in Bologna, Padua, Paris, später Oxford und Cambridge, und als erste deutsche Universität 1348 in Prag, entstanden mit der Entwicklung der Wissenschaften neue Abkürzungen, die nicht mehr von allen Lesern verstanden und gelesen werden konnten. Die vermehrte Anwendung des Schreibens – auch in breiten Schichten des Bürgertums – führte zu großer Willkür bei der Bildung von Abkürzungen in ihren drei Grundformen. Darum sind wir umso mehr beglückt beim Lesen im Amtsbuch, dass diese Tatsache sich nicht auf den Seiten dieses Dokuments widerspiegelt.
2.4.3 Ziffern
Auch in der Schreibweise der arabischen Ziffern sind Abweichungen zur heutigen Anwendung zu erkennen. Auffällig ist die Ziffer 2, die stets in Form eines kleinen „z“ gestaltet ist. Diese Form hat sich noch bis ins 17. Jahrhundert gehalten.
Die Ziffer 1 wird hier – wie damals üblich – oben mit einem Punkt und bis unter die Schriftlinie gezogen. Diese Verlängerung findet sich auch bei der Ziffer 7, die ohne den heute üblichen Querstrich geschrieben wurde.
Durchgängig mit „geschlossenem Kopf“ wird die Ziffer 4 dargestellt, was sicherlich auf die hohe Schreibgeschwindigkeit zurückzuführen ist, indem in einem Strich vom Kopf des Stammstriches bis durch diesen waagerecht hinaus ein schnelles Schreiben möglich ist.
Ungewöhnlich für die heutige Zeit zeigt sich die Gestalt der Ziffer 6. Der beginnende Strich an der Oberlinie wird zunächst in Schreibrichtung geführt, um dann im Kreisbogen – gleich einem stilisiertem Vogelkörper – auf der Schriftlinie zu enden. Abweichend von der üblichen typographischen Darstellung der Ziffern 3 und 5, werden sie gleich den Tabellenziffern nur auf die Schriftlinie gestellt.
Üblicherweise wurden seit dem 12. Jahrhundert im gesamten europäischen und angelsächsischen Raum die sogenannten „Mediävalziffern“ geschrieben, welche die Ablöser der römischen Buchstabenziffern waren. Diese arabischen Mediävalziffern haben unterschiedliche Ober- und Unterlängen und fügen sich typographisch viel besser in ein händisches Dokument ein, als die heute üblichen Tabellenziffern, die grundsätzlich alle auf der Schriftlinie stehen.
So ist gleichfalls im Amtsbuch des 16. Jahrhunderts auch dazu ein Teil der Entwicklung der Schriftkultur im Heiligen römischen Reich deutscher Nation nachzuweisen.
2.4.4 Maße
Wie andern Orts schon beschrieben, ist es für das Verständnis des Inhalts dieses Buches wichtig, sich über die politische und wirtschaftliche Zeit des 16. Jahrhunderts einen Einblick zu verschaffen. Vielfach abgeleitet von allgemeinen Körpermaßen und Arbeitsverrichtungen sind viele Maßeinheiten der damaligen Zeit entstanden, die meist ab 1871 dem einheitlichen metrischen System weichen mußten.
So war u.a. die kleine Spanne das Längenmaß für den Abstand zwischen der ausgespannten Hand von der Daumenspitze bis zur Spitze des Mittelfingers. Der Abstand zwischen Daumenspitze und kleinem Fingerspitze war die große Spanne mit ca. 22,5 cm.
Ein Morgen als Flächenmaß war ursprünglich ein Feldmaß für den Bauern. Es entsprach der Fläche, die ein Mann mit einem Gespann den Tag über bearbeiten konnte (auch Tagwerk genannt) und war ca. 2500 Quadratmeter groß.
Ein Schoppen zu damaliger Zeit war das Volumenmaß für eine Schöpfkelle voll Trinkbarem. Ein Schoppen hatte 3/8 Quart = 0,43 Liter! Wie hat sich doch dieses Maß bis in die heutige Zeit verändert!
3. Schrift, Sprache, Wortschatzwandel
3.1 Schrift
Für die Fertigkeit, eine saubere, lesbare und inhaltsreiche Handschrift anfertigen zu können ist nicht der Schreiber allein zuständig, sondern die jeweils bestehenden gesellschaftlichen Strukturen, das gesellschaftspolitische Umfeld, welches die Schriftausbildung in der jeweiligen Zeit als nationales und bedeutsames Kulturgut fördert, fordert oder mißachtet.
Mit dem Verlust der Handschrift stirbt eine wichtige Komponente innerhalb der Kommunikation zwischen den Menschen, denn die Schrift ist in ihrer Gesamtheit vergegenständlichte Sprache. Das händische Schreiben ist ein ganzheitlicher Prozess, an dem Verstand, Hand und Herz im Gleichklang beteiligt sind. Die Beherrschung des feinmotorischen Bewegungsablaufes beim Schreiben, die innere Schreib-Emotion und Schreib-Motivation bestimmen das Schreibtempo; der Atem beeinflußt den Rhythmus und Duktus der Buchstaben, kurz: Jedes handschriftliche Dokument ist beredtes Zeugnis der Individualität des Schreibers und seiner schriftlichen Glaubwürdigkeit. Auch darum ist der gedruckte Buchstabe in seiner Wesensart unsinnlich. Nur die Handschrift gibt seit Jahrhunderten Auskunft über den Urheber, über den Bildungsstand der Schreibkultur des Landes und seine Zeit.
Erst durch die Schrift entwickelten sich Hochkulturen, Philosophien und Religionen der Menschheit. Durch sie gründete sich die Geschichte der Wissenschaft und damit der fundamental nachweisbare Aufschwung aller anderen Wissenszweige, alle Kultur- und Rechtsgüter.
Die bestehenden schriftlichen Zeugnisse, die aufgehäuft, behütet und bewahrt werden konnten, welche von der geistigen Erkenntnis, von den Abgründen und Hochflügen, von Größe und Vergänglichkeit im Wandel der Zeit berichten, auch sie belegen den Wert der Schriften von vergangenen Jahrhunderten.
Durch drei Merkmale ist der Begriff „Schrift“ charakterisiert:
Wenn durch eine gestaltende manuelle Tätigkeit auf einer (transportablen) Unterlage mit Hilfe diverser Gerätschaften wiederholbare, allgemeingültige und bekannte Zeichen gefertigt werden (ritzen, schneiden, malen, zeichnen, schlagen);
wenn durch die Absicht des tätig Gestaltenden eine Mitteilung verbreitet werden soll und
wenn dadurch neue Erkenntnisse als Information gespeichert und aufgezeichnet werden.
Der Formwandel der Schriftzeichen vollzieht sich in dem Maße, wie sich Schrift und Sprache einander anpassen und regional verbreiten, weil sie sich nach den Bedürfnissen und den Schreibbedingungen des täglichen Lebens ausrichten und zu geregelten, das heißt zu genormten Formen führen. Wir können uns mit den Buchstaben, die zu Wörtern und Sätzen anwachsen anfreunden, sie „enthüllen” und enträtseln, um zu erfahren, was sie uns wahrhaft sagen wollen. Während die deutsche Schrift sich den verändernden Verlautbarungen auch in der Schrift anpaßte, versäumten west- und nordeuropäische Regionen (Frankreich, England) diese Anpassung, was in den Abweichungen von Schrift und Aussprache zu erkennen ist.
Die im Peitznischen Amtsbuch verwendete Kurrentschrift lässt diesem geübten Schreiber ein großes variantenreiches Schrifttum in der Buchstabengestaltung zu, weil durch die Dynamik seines kursiven Schreibens zugleich viel Individuelles in das Schriftbild einfließt.
Sicherlich wäre es durch weiterführende und vergleichende Schriftstudien möglich, den Hauptschreiber anhand anderer regionaler Schriftstücke auch namentlich benennen zu können, denn leider gibt es am Ende seiner Eintragungen keine Unterschrift.
3.2 Sprache
Mit dem Aufblühen der Städte, dem Erstarken des Bürgertums und das Entstehen und die Entwicklung neuer Wirtschaftszweige und Handelswege seit dem 15. Jahrhundert wuchs zugleich auch der notwendige Schriftverkehr in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und führte zu einer Angleichung innerhalb der niederdeutschen Mundarten.
Für die Herausbildung einer deutschen Nationalsprache hatte das ostmitteldeutsche Gebiet seit der Herrschaft der Markgrafen zu Meißen einen entscheidenden Einfluß durch seine ständige territoriale Erweiterung unter relativ einheitlicher gemeinsamer Regentschaft zwischen Werra und Oder. Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metallbuchstaben Mitte des 15. Jahrhunderts ermöglichte die explosionsartige Herstellung und Verbreitung von Büchern und Streitschriften, ermöglichte den Ablaß- und Buchhandel und belebte die deutsche Literatur durch Übersetzungen der Literatur anderer Völker im ganzen deutschen Sprachgebiet. So waren auch die Drucker in hohem Maße interessiert, daß ihre Druckstücke in einer einheitlichen Sprache und Schreibung überall verstanden werden sollten. Darum machten sie sich den Sprach- und Schriftgebrauch der bedeutendsten Kanzleien zu eigen.
Unterstützend bildete sich durch die Einführung der Reformation 1542 in Peitz /8/ mit der deutschsprachigen Liturgie und seinen Kirchenliedern in den evangelischen Kirchen durch die Luthersche Bibelschrift eine Vereinheitlichung und somit die weitere Entwicklung und Ausprägung der deutschen Sprache heraus. Natürlich wurde im Amtsbereich Peitz durch seine slawische Besiedlung und der überwiegend bäuerlichen Wirtschaftsstruktur und parallel zur deutschen Sprache weiterhin die niedersorbische Sprache gesprochen. Der große erzieherische Einfluß der Kirche nunmehr durch die Bibelübersetzung in die Sprache des Volkes – nicht die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen – und dadurch das Entstehen vieler volkstümlicher und sprichwörtlicher Redewendungen und auch neue deutsche Kirchenlieder durch Doktor Martin Luther prägten die Sprachentwicklung des 16. Jahrhunderts.
Sicherlich auch dadurch bedingt, daß die alte Salzstraße, deren Verkehr samt einer vorhandenen Zollstelle über Peitz führte, bewirkte mit dieser derartigen Geschäftigkeit auch einen Einfluß sowohl auf die Sprachentwicklung von Mundarten als auch auf die wachsende Schriftlichkeit durch Um- und Neuordnung bestehender Gesetzlichkeiten. War es Jahrhunderte zuvor Karl der Große, der die karolingische Minuskelschrift als verbindliche Verkehrsschrift in seinem großen Herrschaftsgebiet befahl, so sind es im 15. und 16. Jahrhundert die kursächsisch-meißnischen Kanzleien, deren Schrifttum zur Verbreitung einer einheitlichen deutschen Sprache beitrugen.
Das auch ein Teil der Herkunft der im Amtsbuch zu Peitz verwendeten Wörter durch den Schreiber in sächsischer Mundart geschrieben wurde, ist dort nachzulesen. Er verschriftete Präfixe, Verben und mundartliche Wörter, wie sie noch heute in der Oberlausitz und in Sachsen verwendet werden. Nachstehend einige wenige Beispiele zu diesem Sachverhalt dazu:
„vorordnet“ für verordnet;
„vorwanten“ für verwandten;
„obgemeldet“ für abgemeldet;
„dorin“ für darin;
„nunderwerts“ für abwärts, hinunter
„vf“ sprich „uf“ für auf
und anderes mehr.
3.3 Wortschatzwandel
Unter einem Wortschatz ist nicht der Gesamtwortschatz eines Sprechers oder eines Schreibers innerhalb einer Epoche zu verstehen, sondern immer nur ein spezifischer Wortschatz seiner Standardsprache in der jeweiligen Zeit. Warum das so ist, möchte der Autor auf den nachfolgen Zeilen erläutern. Der Wortschatz einer Sprache kann nicht mit einer genauen Zahl angegeben werden, denn je nach den intellektuellen Voraussetzungen vermehrt sich der Wortschatz mit dem Bildungsstand des Sprechers, seinem Alter und seiner beruflichen Ausbildung. Es ist doch ein Unterschied in der Zählart, ob nur deutsche Wörter oder auch Lehn- und Fremdwörter mitgezählt werden, nur die Stammwörter oder auch die Komposita (Zusammensetzungen, z. B. Eisenbahnwagen).
Jede gesellschaftliche Entwicklung bringt der Sprache neue Wörter, läßt einige verschwinden, andere veralten und nicht zuletzt auch „umbewerten“, semantisch wandeln. Zählen die veralteten und die verschwundenen Wörter (Archaismen) auch noch zum Wortschatz?
So vollzieht sich der Wortschatzwandel im Sinne der Zählart auf sehr unterschiedlicher Art und Weise, zu dessen wissenschaftlicher Analyse noch ein weiter Weg ist. Erst in „neuerer“ Zeit kann mit Hilfe von Lexika- und Rechtschreibausgaben das Entstehen, Veralten, Verschwinden und „Umbewerten“ des Wortbestandes der Sprache eines Volkes und in einfacher Zählart „begleitet“ werden. Einfachster aber nicht aussagefähiger Nachweis des üblicherweise wachsenden Wortbestandes ist die Anzahl der Stichwörter in den jeweiligen oben genannten Buchbeständen. Nachfolgend nur ein kleiner Vergleich:
Abrogans
3.600 Wörter, Fragment des ersten deutschen Glossars in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts
Adelung
56.000 Wörter, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart von 1793
Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache
27.000 Wörter, Erstausgabe zur einheitlichen Rechtschreibung von Konrad Duden, Leipzig 1880
145.000 Wörter, bisher letzte, besonders englisch erweiterte Ausgabe des Jahres 2017
Deutsches Wörterbuch
etwa 320.000 Wörter, auch Grimmsches Wörterbuch genannt, nach 178 Jahren im Jahre 2016 fertiggestellt
Hieraus ergibt sich doch die wiederholte Fragestellung nach dem Warum, Woher, Wodurch und Wieso, und durch welche Tatsachen vollzieht sich in der Sprache das Sterben, das Entstehen und der Wandel des Wortschatzes eines Volkes? An dieser Stelle bedürfte es weiterführender aber nicht minder interessanter schriftlicher Erläuterungen zu weiteren als den nachfolgenden Darstellungen, was aber den Rahmen dieser Einführung sprengen würde, allein zu den Registerordnungen der oben genannten Wörterbücher der Vergangenheit und Gegenwart.
Eine grobe Erklärung zum oben genannten Sachverhalt dieser Veränderungen im Wortschatz geschieht unter anderem nach folgenden vier Mustern:
1. morphologische Vermehrung durch gleichwertige Wörter
Festigkeit – Stabilität – Haltbarkeit
bloß – nackt – nudistisch
2. soziale Wortänderung durch Abgleiten in eine abwertende, negative Bedeutung (Pejoration)wie bei:
Weib – Frau oder Knecht und Tagelöhner als damalige Berufsbezeichnung
oder durch „Individualismus“ wie:
positiv – im Sinne von gut oder negativ – im Sinne von schlecht aus medizinischer Sicht
3. lexikalischer Verlust durch gesellschaftliche, soziale, politische und technische Veränderungen in der jeweiligen Zeitebene wie bei:
4. Bedeutungswandel durch die „Umbewertung“ bestehender Wörter wie bei:
„das Licht löschen“ einst: das Feuer der Kerze löschen und heute gleichlautend durch Ausknipsen an der Fernbedienung
„Wendehals“, biologisch ein kleiner Specht, aber heute auch eine Person mit wechselnder angepaßter politischer Haltung
So schreibt im Jahre 1929 Dr. Theodor Matthias im „Vorwort zur zehnten Auflage” als Herausgeber des „Großen Dudens” /9/ S. 3:
Aber unwiderstehlich drängten das bewegte Leben des gewaltigen letzten Jahrzwölfts und die Fluten der überquellenden Sprachbewegungen und sprachlichen Neuschöpfungen heran, worin die Wandlungen in Staat, Gesellschaft, Verkehr, Industrie und Technik wie im Denken, Fühlen und Glauben ihren Ausdruck gefunden haben.
Betrachten wir nun die Schriftsprache im Peitznischen Amtsbuch von 1554. Wie bereits anderen Orts beschrieben, ist die Schrift – die vergegenständlichte Sprache. Sie setzt sich aus den vier Komponenten: Phonetik (die sprachlichen Laute), Grammatik, Lexik (Gesamtheit der Wortarten) und der Syntax (Lehre vom Bau des Satzes) zusammen.
Auch im Amtsbuch widerspiegelt der Schreiber im Satzbau den noch lange bestehenden Einfluß des Lateinischen im Schriftverkehr des 16. Jahrhunderts. Viele Schachtelsätze, fehlende Artikel – sie werden manchmal nur durch einen „Schnörkel“ angedeutet – häufige Relativsätze und die Endstellung des finiten Verbs bilden hier die wesentlichen Merkmale seiner Schriftsprache. Auch wenn der Leser der Gegenwart die verschnörkelte Satzstellung bemängeln könnte, so zeichnet sich dieser Amtschreiber jedoch gegenüber anderen Dokumenten seiner Zeit dadurch aus, indem er auf den üblichen Gebrauch der lateinischen Wörter völlig verzichtet.
Wichtig in der Gesamtbewertung des Textes des Amtsbuches, um die Komplexität des Inhalts in Bezug auf die Forderungen, Abgaben und Frondienste durch die beschriebenen „Ordnungen“ auch ermessen zu können, bedarf es zuvor der Wissensaneignung des Lesers über den heute nicht mehr geläufigen bäuerlichen Stand eines Hüfners, Büdners oder Kossäten dieser Zeit.
Damit für den geneigten Leser des Amtsbuches auch der Text verständlicher wird, gilt es neben der Auflösung der verschrobenen Synatx auch den Wortschatzwandel einiger häufiger nachstehend Wortarten aufzuklären, was an einigen Beispielen abschließend erläutert wird:
auswendig
im Sinne von „außerhalb“, also: „hinter der Wand“;
Freyheit
bedeutete „frei sein“ von Diensten und Abgaben laut bestehender Ordnung;
Gemeinheit
1. Bezeichnung für die Gesamtheit von Einwohnern als bürgerliche (hier als bäuerliche) Gesellschaft in einem Dorf oder Stadt; ableitend entstand das Wort: Gemeinde; regional auch verwendet für Einwohner, die im engeren Sinne zu keiner Zunft oder Innung gehörten, genannt: „Gemeinsmann“
2. auch Bezeichnung für das einer Gemeinde gehörende Gut oder Land;
Gerechtigkeit
1. „eine Gerechtigkeit haben“ bedeutete berechtigt zu sein, eine Berechtigung an einer Sache zu haben;
Item
Aus dem lateinischen stammendes, in Deutschland veraltetes Adverb (Partikel) für weiterhin, kurzum, ferner aber auch für ebenso oder desgleichen. Dieses Adverb ist heute nur noch in der Schweiz gebräuchlich.
Kerbholz
Aus meist zwei gleichlangen Holzstücken bestehendes Hilfsmittel zur Zählung und Buchführung. Abgaben oder Lieferungen wurden mit einer Kerbe versehen, deren einer Teil beim Lieferanten verblieb, der andere beim Zulieferer. Die Kerben mußten beim Aneinanderlegen übereinstimmen. Der Umgang damit ist im Amtsbuch in der Mahlordnung nachzulesen.
Mittfasten
vierter Donnerstag vor Ostern, die Mitte der Fastenzeit;